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Nach dem tödlichen Messerangriff auf eine Schülerin untersuchen die Ermittler die Vorgeschichte des Opfers und des mutmaßlichen Täters. Gegen den Beschuldigten hatte die Schülerin bereits im November Strafanzeige wegen körperlicher Gewalt gestellt. Die Anzeige sei noch nicht der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden, nur die Polizei habe in dem Fall ermittelt, sagte ein Sprecher der Anklagebehörde am Freitag. Es habe wohl kein juristisches Kontaktverbot gegeben zwischen dem Opfer und dem mutmaßlichen Täter.Das Amtsgericht Heidelberg wollte am Freitag über eine Untersuchungshaft des mutmaßlichen Täters entscheiden. Die Staatsanwaltschaft hat für den Nachmittag eine Pressemitteilung angekündigt. Der 18 Jahre alte Schüler desselben Gymnasiums in St. Leon-Rot steht unter Verdacht, das gleichaltrige Opfer am Donnerstag mit einem Messer umgebracht zu haben. Stunden später wurde er in Niedersachsen festgenommen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Freitag, dass der Täter eine deutsche Nationalität habe.Die Ermittler sprachen am Donnerstag wiederholt davon, dass sie von einer Beziehungstat ausgehen, nannten jedoch zunächst keine Details. Mit dem Begriff «Beziehungstat» wollen Ermittler oft lediglich ausdrücken, dass sich Opfer und Täter kannten, es sich also nicht um ein Zufallsopfer des Täters handelte.Auf die Frage, ob es sich bei der Tat um einen sogenannten Femizid handle, konnte der Sprecher der Staatsanwaltschaft am Freitag keine Angaben machen. Er sagte aber: «Der Begriff Beziehungstat war zumindest nicht beschönigend gemeint. Da gibt es nichts zu beschönigen.» Femizid bedeutet, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden - also weil sie Frauen sind. Als häufigste Form gilt die Tötung von Frauen durch Partner oder Ex-Partner.Um 15.00 Uhr war am Freitag ein Statement im Foyer des Rathauses für Pressevertreter geplant. Das kündigte der Mitarbeiter einer Kommunikationsagentur an, die von der Schule nach der Gewalttat beauftragt wurde. Zu dem Pressetermin wurde der Schulleiter des Gymnasiums und ein Vertreter der Gemeinde erwartet.Häufen sich solche Vorfälle?Es ist nicht der einzige derartige Fall in jüngster Vergangenheit: Im November hatte ein 15-jähriger Deutscher in einer sonderpädagogischen Schule in Offenburg einen gleichaltrigen Mitschüler erschossen. Dennoch sind solche Ereignisse selten. «Natürlich ist jeder Fall einer zu viel», sagte Klaus Seifried vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). «Aber wenn man Deutschland mit den USA vergleicht, ist Deutschland absolut friedlich.» Jugendliche und junge Erwachsene, die solche Taten begehen, seien oft einsam und hätten Probleme. Eltern sollten sich nach Seifrieds Worten Zeit nehmen und fragen, wie es ihren Kindern geht. «Auch für 15-, 16-, 17-Jährige.» Viele wüssten nicht, was ihre Kinder am Computer treiben, welche Sorgen sie haben.Schulleben ist wichtiger Faktor bei PräventionGewalt unter Kindern und Jugendlichen hat nach Einschätzung von Prof. Sibylle Winter nicht zuletzt infolge der Corona-Pandemie zugenommen. Das zeige sich sehr selten in schwerster Gewalt wie den beiden Tötungsdelikten in Baden-Württemberg, sagte die stellvertretende Klinikdirektorin und leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. «Aber es gibt mehr emotionale Gewalt. Es wird mehr geschrien, mehr beleidigt.» Mobbing beispielsweise nehme zu.Als Grund nannte die Expertin unter anderem die Lockdowns mit geschlossenen Schulen und dem sogenannten Homeschooling. Vor allem in der Schule, im Miteinander erwerbe man aber soziale Kompetenzen. Gerade 15-Jährige wie der mutmaßliche Täter in Offenburg und 18-Jährige wie der Verdächtige in St. Leon-Rot seien in einer Altersspanne, in der man wichtige Schritte mache - vom pubertierenden, bisweilen rebellierenden Teenager zum Erwachsenen. Auch das Umfeld wie Eltern und Schule als mögliche Ansprechpartner spielten hier eine Rolle.«Trotzdem können wir solche Taten nicht verhindern»Ein wichtiges Frühwarnsystem seien Mitschüler, sagte der Psychologe Klaus Seifried, der auch 2. Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie im BDP ist. Sie bekommen demnach mit, wenn jemand abdrifte, es jemandem nicht gut gehe. Manche Schulen bildeten Streitschlichter oder Konfliktlotsen aus, die dann hinreichende Sensibilität und Kompetenz hätten. Sollte die Polizei eingeschaltet werden müssen, dann sollten dies Erwachsene machen. Wichtig findet Winter, dass Schulen Schutzkonzepte etablierten. Dazu gehöre ein Verhaltenskodex, der Verhaltensregeln festlegt wie gegenseitiger Respekt.«Trotzdem können wir solche Taten nicht verhindern», sagte Seifried. «Wenn jemand dort aufwächst, wo Gewalt als Methode der Konfliktlösung vorgelebt wird, kann Schule nur in begrenztem Maße kompensatorisch dagegen vorgehen.» Auch aus therapeutischer Sicht macht es laut Winter einen Unterschied, ob ein Täter etwa aus Frustration aggressiv wird oder mit Gewalt groß wurde. «Wer gelernt hat, mit Aggressionen Probleme zu lösen, ist therapeutisch schwerer erreichbar.»Bildnachweis: © René Priebe/dpaCopyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten